Jammern gilt nicht

Else Buschheuer, eine der bekanntesten deutschen Bloggerinnen, zieht in einem Interview nach zehn Jahren Blogpräsenz Bilanz, und das klingt ernüchtert:

Bloggen, das sind viele kleine Fehlgeburten, abgetriebene Gedanken, aber eine Geschichte zu einer großen, geschlossenen Form zu bringen, das hat Majestät.

So drastisch sehe ich das nicht. Die kurze Form ist auch eine Kunst, eine bemerkenswerte sogar. Ein Roman ist dagegen natürlich etwas ganz anderes, ein Roman läßt sich in einem Blog vermutlich nicht verwirklichen. Man muß sammeln und sortieren können. Und schreddern, ganz so wie die Buschheuer es sagt. Außerdem warten, abwarten und die Dinge wachsen lassen, wie sie es wollen. Ein Roman braucht Zeit, unendlich viel mitunter. Unerträglich kann das sein. Ich würde einen Roman in einem Blog nicht einmal versuchen. Allerhöchstens begleite ich meine Arbeit daran, schreibe meine Arbeitsprotokolle und verblogge sie in meinem Alltagsblog. Andere Autoren dagegen versuchen es durchaus, zum Beispiel Sebastian Kraus aus Kreuzberg in seinem Wrangelstraßenblog.

Blogs sind keine Geschichte, das sollte man bedenken. Sie erzählen noch nicht einmal immer welche. Blogs sind irgend etwas, was auch immer. Blogs können alles mögliche sein, und nur eines steht dabei fest: Blogs machen Tempo, immer. Sie fordern es nahezu.

Jeden Tag klicken meine Leser meine Internet-Seite an und lesen über meine Einsamkeit, mein Scheitern, meine kleinen Freuden. Schreibe ich zwei Tage nicht, krakeelen sie.

Tja, damit muß man umgehen können, mit den Erwartungen der anderen, im Leben wie auch beim Bloggen. Oder man muß es lernen, ob man nun Buschheuer heißt oder sonstwie. Und Jammern gilt in dem Zusammenhang nicht. Nein, nicht beim Schreiben, da ist Jammern einfach nicht erlaubt. Allerhöchstens mal beim Bloggen. Vielleicht.

6 Gedanken zu „Jammern gilt nicht“

  1. Bis zum Ende habe ich Dir zugestimmt, dort aber fragte ich mich: was bedeutet es jemandem, etwas als ‚verboten/nicht erlaubt‘ hinzustellen? Auch wenn das augenzwinkernd – vielleicht – geschieht? Was letztlich ja immer nur den Versuch eines Vermeidens unangenehmer Konsequenzen darstellt.

    Und dann entdeckte ich etwas viel Wichtigers für mich (wen auch sonst?) Einen Satz, den ich offenbar zuvor überlesen hatte. Nämlich: „Blogs sind keine Geschichte, das sollte man bedenken.“

    Ich hoffe, Du bist mir nicht böse, wenn ich gestehe, daß ich diesen Satz für eine heimtückische Dummheit halte. Ich denke nämlich vielmehr, daß ein Blog vor allem gerade das ist: ein Stück persönliche Geschichte. Welche Beweggründe auch immer die Autorin oder den Autor dazu veranlaßt haben, und wie immer diese sich auch gewandelt haben – ein Blog ist dokumentierte Geschichte. Wort für Wort kannst du dich dort finden, oder einen Aspekt deiner selbst. Eine Hülle, eine Gestalt, eine Projektion. Mir egal, wie das jeweils zu nennen wäre.

    Ich sehe – wie Du – ebenfalls nicht, daß ein Blog wie ein Roman funktioniert. Oder eine Roman wie ein Blog. Ein Blog klnn weniger und mehr sein. Weniger, weil der Zwang zur Stringenz fehlt, dem mühsamen Erschaffen einer kompletten Welt (was in meinen Augen einem Roman eignet und ihn erstaus macht). Mehr jedoch, weil er die Durchschrift einer ganzen Welt im Wandel enthalten kann. Verschlüsselt, gebrochen, aber dem/der Eingeweihten – meistens bist das du als Bloggerin nur selbst – so offen liegend wie ein Einkaufszettel beim kritischen Nachprüfen, weil du mit der kalkulierten Summe wieder einmal bei weitem nicht gereicht hast.

    Vom Räsonnieren über ‚das Bloggen‘ halte ich dagegen an sich nicht viel (auch wenn diese Zeilen eben das auch sind). Unter anderem, weil es, wie das Räsonnieren über ‚das Schreiben‘ so viele zu sehr von dem abhält, was sie vorgeblich doch zu tun beabsichtigen. Dort sollte m.E. eine Arbeitsteilung sein, wie sie womöglich einmal in der Literatur vorhanden war, bevor der ’studierte Autor‘ sein diplomiertes Haupt erhob. Mag sein, daß ‚das Bloggen‘ noch zu jung ist, um in den Fokus des Zergliederns zu geraten, aber ich denke, es wird schon irgendwann werden, und dann werden Blogger nachlesen können, was sie eigentlich tun (sollten). Und ihr Handeln dann folgsam ‚bewußter‘ gestalten können. Was sie, wenn nicht – mangels Zufriffszahlen – zu Warenhütern, doch möglicherweise zu Worthütern auf ihrem Felde machen wird. Obwohl das, soweit ich sehe, auf dem Papier nicht gerade vorbildlich funktioniert (hat).

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  2. Das „verboten“ war tatsächlich eine augenzwinkernde Reminiszenz an die sogenannten Jammerblogger. Und der Begriff „Geschichte“ läßt sich ebenso wie der Begriff „Literatur“ mal so und mal anders definieren. Das ist ja das Schreckliche – und das Schöne zugleich -, daß nichts eindeutig benannt werden kann. Und daß es trotzdem Geschichten gibt, die wir alle nicht nur verstehen, sondern auch erleben. Beim Lesen.

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  3. Schön, daß Du meine (im späteren Lesen mir doch recht harsch vorkommenden) Zeilen nicht übel nahmst. Ich glaube zwar nicht, daß wir die Blog-Geschichten anderer Leute jemals ernsthaft verstehen können (ich lese z.b. mit heller Begeisterung ein Blog, wo ich offen gestanden kaum einen einzigen Satz richtig verstehe. Die Sprache ist Deutsch, die Worte kenne ich alle, aber es kommt mir vor wie eine Äußerung direkt vom Planeten Solaris. Sehr seltsam!). Aber ich bin überzeugt davon, daß dieses Lesen Impulse abgibt an mein Denken. Täte ich das nicht, würde ich innerlich verkümmern!

    Daher freue ich mich über jeden Input, der nicht beruhigt, indem ich ihn rasch mir nichts dir nichts irgendwo einsortieren kann, sondern der in mir herum rast wie ein kleiner Teufel (aus süßer Schokolade, oft). Und der, wie Du schreibst, schrecklich-schön ist. So, wie Rowohlt früher manche seiner rororo-Bändchen schmückte – a faint cold fear thrills through my vains. Immerhin etwas!

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  4. Bei Twitter habe ich heute diese schöne Beschreibung gelesen: „Ich empfehle Blogs als Gesamtwerke zu lesen, aber ich sammle auch Texte, die mir besonders gefallen …“
    Diese Vorstellung gefiel mir gut. Alle Blogs, die ich lese ein Gesamtkunstwerk.
    Erinnert habe ich mich aber auch an einen Essay von Wilhelm Genozino, den ich vor kurzem gelesen habe, in dem er darauf hinweist, dass es verschiedenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern so schwer fiel, aus ihren Texten Geschichten bzw. Romane herauszuschneiden. Er erwähnte z.B. Ingeborg Bachmann – und dass es schade war, dass der Markt erforderte, ihre „Textriffen“ in die Form von Geschichten oder einen Roman zu pressen.
    Dieses Problem gibt es beim Bloggen nicht, dachte ich mir. Wir können uns an den Textriffen von so vielen Menschen erfreuen.

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