Das andere Ich

Immer noch hänge ich am Ich. Nicht an der Autobiographie, diesmal, nicht an der faktischen Wahrheit. An der hänge ich ja ohnehin nicht so sehr. Vielmehr frage ich mich: Was macht das Ich, das ich (vielleicht) wirklich bin, während der Entwicklung eines anderen Ichs, einem (wirklich) fiktiven Ich, das zu einer Figur in einer Geschichte, in einem Buch taugt?

Irgendwie sind es ja immer nur Bruchstücke von einem selbst, sagte heute Juli Zeh in der Sendung Lido, sinngemäß. Es bleibt ja letztendlich doch immer alles im eigenen Kopf. So ungefähr. Begrenzt, beschränkt, eingesperrt im Eigenen. Das ist durchaus nichts Neues.

Und ist doch auch ein Problem. Vielleicht nicht später, wenn der Text abgeschlossen ist und fertig präsentiert werden kann. Wenn er möglicherweise veröffentlicht wird, schwarz auf weiß. Dann ist es leicht, die Konturen scharf zu ziehen und alle Unterstellungen weit von sich zu weisen.

Aber was tue ich jetzt, in der Phase des Schreibens? Schlimmer noch: Vor dem Schreiben, während der Konzeption der Charaktere und Figuren? Wenn ich also Menschen erfinde, die möglichst nicht hohl sein sollen und leer.

Da gibt es kein Halten, kein Lügen und kein Schwiegen. Da geht alles durcheinander. Da bin ich – dieses wirkliche Ich, das ich vielleicht bin – mein einziges Wahrnehmungsorgan. Ich bin alles, was ich habe. Alles, was mir zur Verfügung steht. Mehr gibt es nicht. Nach außen wie nach innen funktioniert dieser Blick, im besten Fall zumindest. Gleichzeitig versuche ich, eine Leere herstellen. Ebenfalls innen wie außen, so schwer das auch fällt. Und so seltsam das im ersten Moment erscheinen mag.

Denn Leere birgt immer Gefahren in sich. Weil nur darin sich etwas entwickeln kann.

Doch wer genau jetzt gerade (im Oktober/November 2009, ff) in meinem Privatblog engl@absurdum, in dem meine Schreibarbeit lediglich begleitet, selten aber darüber reflektiert wird, über sich schreibt, kann ich selbst – wer auch immer das sein mag – nicht mit Sicherheit sagen. Da kommt in letzter Zeit immer wieder dieser Typ durch, an dem ich gerade arbeite. Das muß ich an dieser Stelle einmal gestehen. Der hat zum Beispiel Magenprobleme, während ich ja eher zu Migräne neige. Magenschmerzen sind mir völlig fremd. So ist es eben, und es hilft ja nichts. Das muß ich jetzt also lernen.

Dementsprechend besteht durchaus die Möglichkeit, vermutlich ist es sogar wahrscheinlich, daß da drüben relativ unkoordiniert etwas darüber durchsickern wird. Oder ähnlich unzusammenhängendes Zeug, ohne daß es tatsächlich konkret zu mir gehören würde, selbstverständlich. Das tut mir jetzt schon mal vorsorglich leid. Geht aber nicht anders.

5 Gedanken zu „Das andere Ich“

  1. Ich glaube ja, daß wir gar nicht fähig sind, einen ‚ganz anderen‘ Menschen zu erfinden!

    In jeder Kreation schauen uns nur Teile unseres (vernmuteten, gehofften, gefürchteten) Ichs an. Was ja auch wieder den Reiz des Erfindes ausmacht!

    In mir sind die Matritzen jedes für mich nur erfahrbaren Menschen. Ich kann niemanden ‚in its own right‘ wahr nehmen, geschweige denn ihn/sie so bilden. Was immer ich wahr nehme, trägt den Stempel/Makel meiner eigenen Wahrheit mit sich. Um so mehr, was immer ich mir ausdenke.

    Das Ausmalen eines anderen Menschen kann dennoch sehr erregend, ja in der Tat sehr geil sein. Weil es meiner Sehnsucht nach Äußerung, Ent-Äußerung nachgibt und ihr glatt und schmeichelnd dient. Wie nahe ich aber damit ‚echten‘ Anderen komme, das steht vollkommen in den Sternen.

    Vielleicht der Grund, warum es so unglaublich viel Spaß macht, so zu tun, als hätte ich genau die Macht, die ich damit vorgebe – sie aber dennoch nie habe und höchstens manchmal spüren kann.

    Teilhabe, denke ich, ist der Kern dieses Handelns. An irgendwie anderen, an Leben und Wirklichkeit und all dem Zeugs, das wir so gerne glauben. Menschen wollen immer Teil sein, nicht Ganzes!

    Mag sein, genau das ist das Geheimnis, oder der Spaß zu leben.

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